Was herausfordernd ist …
Das Ankommen in Finnland war wegen der noch gültigen Einschränkungen langsamer als bisher gewohnt. Doch das hat uns Zeit gegeben, mehr zu beobachten, nicht sofort „mitzumischen“, erst einmal von außen draufzuschauen.
So konnten bzw. mussten wir im Wohnmobil einige Tage alleine in der Natur verbringen und dadurch ein Gefühl für dieses Land bekommen.
Viel, viel Natur, von Herbstwind durchweht, jedes Waldstück aus ähnlichen Farben und Formen komponiert. Wald in unendlichen Variationen. Vom „Jedermannsrecht“ scheinen die Menschen hier wirklich Gebrauch zu machen, alleine sind wir selten.
Auf einer Halbinsel nahe Helsinki stehen an einem Rundgang entlang Kunstobjekte für mehrere Tage, unberührt. Immer wieder hängen gefundene Gegenstände am Rand der zahlreichen Pfade, die die Natur durchziehen: ein Kindermützchen, ein Handschuh, Campingutensilien. Sind das Zeichen des gegenseitigen Vertrauens, auf dem – wie immer wieder gesagt wird – die finnische Kultur beruht? Anderseits wird zum Beispiel der Straßenverkehr sehr genau überwacht und kontrolliert.
Wir haben gesehen, dass nicht die Bäume im Dorf stehen, vielmehr steht das Dorf inmitten von Bäumen. Die Häuser sprießen wie Pilze aus dem Waldboden, vereinzelt oder gruppiert, an oft langgezogenen Straßen oder Waldwegen und doch unter demselben Namen gefasst.
In den bemalten Holzplanken der Häuserfassaden spiegeln sich die Farben der Umgebung wider: Birkenblättergelb, Wolkenweiß, Schilfgrau, Moosgrün, Heidelbeer- und Kiefernnadelrot, Borkenbraun und Flechtengrün. Alles wirkt integriert, wirkt vernetzt, zusammengehörig, als wären Natur und Zivilisation einen Kompromiss eingegangen.
Alle Schulhöfe, an denen wir vorbeikommen, sind voller Bewegungsangebote: Basketball, Klettergerüste, Krafttraining, Tennis, Schaukeln, Fußball… und auch nach der Schule nicht vereinsamt: Kleine Grüppchen treffen sich zum Spielen, Abhängen, Sporteln, Eltern kommen mit ihren Kindern vorbei, es wirkt heiter.
An einer Schule stehen wir mehrere Stunden neben dem Schulhof. Tatsächlich sind immer Kinder draußen unterwegs: mit Zeichenblock, Stiften, Heften oder nichts in der Hand. Regelmäßig gibt es ausgedehnte Pausen, in denen alle Schüler*innen draußen sind und die meisten davon ausgelassen toben, spielen, rangeln, rennen, turnen, streiten und sich wieder versöhnen. Auch wenn ich noch nie so lange einen Schulhof beobachtet habe, ungewöhnlich wirkt das nicht unbedingt.
In den Städten und auf dem Land scheinen sich viele Menschen so zu kleiden, dass es ihren eigenen Vorstellungen entspricht und nicht der durch eine Industrie vorgegebenen Idee von Mode. Das ist angenehm, erfrischend anders.
Einen Vergleich aus alldem zu ziehen, erscheint mir immer abwegiger, im wahrsten Sinne des Wortes: Es würde sehr wahrscheinlich in die Irre führen und weder den finnischen noch unseren Gegebenheiten gerecht werden.
... hat auch etwas Gutes.
Natürlich ist es so, dass die Bedingungen, unter denen diese Forschungsreise generell stattfindet, zurzeit etwas andere sind. Ich könnte jetzt sagen, es ist schwerer, weil vieles nicht möglich ist. Aber so ganz stimmt das nicht. Mein Eindruck ist, dass sich viele meiner Gesprächspartner*innen regelrecht freuen, endlich wieder Besuch empfangen zu können, dass ihnen Austausch auch gefehlt hat, dass sie nicht wie vielleicht früher gesättigt sind und ermüdet von so vielen Fragen. Dass Besuche eine legitime Möglichkeit für sie sind, nach langer Zeit mal wieder ins eigene Büro zu kommen, raus aus der Online-(Dis)Komfortzone.
Schulen sind bei Anfragen sehr zurückhaltend, wenn nicht sogar ablehnend oder ignorieren sie gänzlich – verständlicherweise. In Deutschland wäre das vermutlich nicht anders. Wenn dann aber doch etwas möglich wird, ist das umso schöner und vielleicht ist es auch gut, sich nicht nur mit Leuchtturmschulen zu beschäftigen, sondern gerade an eine ganz „normale“ finnische Schule zu gehen und dort ein paar Momente mitzuschwimmen. Möglich, dass dadurch ein klareres oder zumindest realistischeres Bild entsteht.